Gute Werte, gemischte Gefühle: Die Saisonstart-Analyse von Hannover 96

Der Saisonstart von Hannover 96 gibt einige Rätsel auf.
DUESSELDORF, GERMANY - AUGUST 30: Andreas Voglsammer of Hannover during the Second Bundesliga match between Fortuna Düsseldorf and Hannover 96 at Merkur Spiel-Arena on August 30, 2024 in Duesseldorf, Germany. (Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Kurz vor der Wideraufnahme des Ligabetriebs ist der Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme unserer Roten gekommen. Ein Pokal- und vier Punktspiele liegen hinter uns. Das Absurde in diesem Jahr ist, dass die Werte auf dem Papier eigentlich okay bis gut sind, rein optisch aber der Schuh drückt. So richtige Euphorie will vor allem vor dem gegnerischen Kasten noch nicht entstehen.

Wenn man ehrlich ist, stehen wir statistisch relativ gut da. Einige Dinge werden gut auf den Platz gebracht und bestärken unser Spiel. Allerdings haben auch die Kritiker auf den Rängen und vor dem TV recht, die den Roten streckenweise „Angsthasen“ – oder „Schlafwagen“ – Fußball vorwerfen. Woher dieser Eindruck kommt, dazu gleich mehr.

Punkteausbeute:
Vier Spiele und sieben Punkte sind jetzt nicht so schlecht, zumal wir uns diese sieben Punkte mit fünf anderen Mannschaften teilen. Die Plätze zwei und drei haben jeweils nur acht Punkte. Alles noch sehr dicht beieinander, mit dem Vorteil, dass wir die dicken Brocken Hamburg und Düsseldorf schon von der Brust haben. Pessimisten sehen nur den schlechten Platz neun, Optimisten hingegen sehen simple drei Punkte Rückstand auf Platz eins. Entscheiden muss das jeder für sich.
Gehen wir mal ins Detail…:

Die Punkteausbeute von Hannover 96 ist trügerisch.
Die Punkteausbeute von Hannover 96 ist trügerisch.

Luft nach oben bei Hannover 96:

Tore:
Drei mickrige Tore klingt erstmal wenig. Düsseldorf und Paderborn stehen vor uns, haben aber auch nur fünf bzw. sechs Tore.
Mit drei Toren liegt Hannover momentan auf Platz 13 des Rankings.

Schüsse (aufs Tor):
Hannover schießt auch verhältnismäßig wenig (aufs Tor). Spitzenreiter hierbei ist Köln mit über 80 Schüssen, während Hannover knapp unter 50 liegt. Bei den direkten Torschüssen liegen wir mit zehn Versuchen auf dem letzten Platz. Auch hier führt Köln mit 29 Versuchen direkt aufs Ziel. Da darf gerne mal mehr geballert werden!

Schuss-kreierende-Aktionen entstehen bei Hannover 96 bisher nicht aus Pressing-Situationen oder Ballgewinnen! Dies war zum Beginn der letzten Saison noch unsere große Stärke. Nur durch Einwürfe, Freistöße, Dribblings oder Anstöße tauchen wir überhaupt vor dem gegnerischen 16er auf, aber nicht durch erpresste Balleroberungen. Null Torabschlüsse durch Pressing-Gewinne, das ist zu wenig! Auch bei der Standard-Gefahr dümpeln wir im unteren Mittelfeld rum. Mit nur 14 Ecken belegt Hannover sogar nur Platz 17. Denn aus wenigen Schüssen folgen wenige Ecken.

In der Offensive klemmt der Schuh - trotz der Neuverpflichtungen.
In der Offensive klemmt der Schuh – trotz der Neuverpflichtungen.

Pressing:
Die Tacklings im Angriffsdrittel liegen bei zwölf. Das bedeutet zwar Ligabestwert, erfolgreich davon sind aber nur 47,6% (Platz 16). Sobald die erste Angriffskette von uns also überspielt wurde, geht unser Mittelfeld zu wenig in die Zweikämpfe: wir erreichen einen nur mittelmäßigen Zugriffswert in diesem Teil. Ergebnis sind vermehrte Angriffe des Gegners, die genug Zeit haben, um durchzukommen. Hinzu kommt unsauberes Spiel: Hannover 96 verliert im mittleren Drittel die meisten Bälle bei gegnerischen Pressings. Stoppfehler oder versprungene Bälle passieren zu häufig.

Positiv:
Mit 84,4 % Passquote rangieren wir in der Spitzengruppe der erfolgreichsten Passgeber (leider eher in unrelevanten Zonen).
Beim Ballbesitz bekleiden wir aktuell sogar den dritten Platz! Dieser resultiert aus den sehr guten Zweikampfwerten:
Platz sechs bei den Duellen am Boden und sogar Platz eins in der Luft!
Garniert wird diese gute Performance von den Laufwerten, die bisher eher ein Sorgenkind im roten Trikot waren:
Zwar bleibt die Laufdistanz weiterhin problematisch weil zu gering, jedoch klopfen wir bei den Sprints neuerdings in der Spitzengruppe an und zählen bei den intensiven Läufen zu den Top sechs der Liga.
Bei den Flanken stehen wir auf einem guten 7. Platz, auch hier mit Potenzial nach oben. Dazu wird unser Neuzugang Bartlomiej Wdowik seinen Teil beitragen. Nicolo Tresoldi gefällt das.

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Pässe:
Pässe ins letzte Drittel (Platz 9) und progressive Pässe (Platz 8) kommen bei uns fast nur von Phil Neumann und Enzo Leopold, die unter den Top 20 der Liga stehen. Sei Muroya schafft es noch in die Top50. Wir suchen somit zu selten den schnellen, steilen Ball nach vorne. Lange Bälle bzw. auch Bälle hinter die letzte Kette finden kaum statt. Was ist eigentlich aus Halstenbergs wohl temperierten Langholz geworden? Das ist richtig bitter…

Pass-Empfänger:
Die drei Spieler, die die meisten Pässe von Mitspielern bekommen, sind Muroya, Rochelt und Dehm – also zwei Außenverteidiger und ein verkappter 10er. Wir konnten in Münster, Düsseldorf und Bielefeld sehen, was passiert, wenn diese drei aus dem Spiel genommen werden. Dann ging bei 96 nämlich so gut wie gar nix mehr…

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Der optische Eindruck:

Irgendwas stimmt beim Zuschauen nicht und deshalb will sich keine Aufbruchstimmung aufbauen. Leitls Rote wirken in der Offensive zu zaghaft und in der Hintermannschaft zu wackelig. Eigentlich alle Spiele (bis auf das gegen Hamburg) offenbarten Hannovers alte Schwäche, kreativ gegen tiefstehende Gegner zu operieren. Auch Düsseldorf bediente sich dieser Erkenntnis und zog sich in der ersten Halbzeit weit in die eigene Hälfte zurück. Gleichzeitig lief man unsere Außenverteidiger früh an und forcierte rote Ballverluste in der Mitte, weil Ezeh/Rochelt und Muroya/Lee nicht gut aufeinander eingespielt waren.

Man darf dabei nicht vergessen, dass wir einerseits mit neuen Leuten in eine neue Saison gestartet sind. Schwierigkeiten sind da ganz normal, man muss sich erstmal eingrooven. Rochelt und Lee tun sich sichtlich schwer mit unserem Anlaufverhalten, das sehr intensiv ist. Beruhigend wirken zumindest die stabilen Performance-Werte in allen Mannschaftsteilen, was zeigt, dass die grundsätzlichen Aufgaben ordentlich erledigt werden.

Unter anderem Jannik Rochelt scheint mit dem Offensivkonzept von Hannover 96 noch seine Probleme zu haben.
Unter anderem Jannik Rochelt scheint mit dem Offensivkonzept von Hannover 96 noch seine Probleme zu haben.

Ein anderer Aspekt ist, dass wir drei Spiele lang mit einer im Sommer eingeübten 3er/5er Kette gestartet sind. Erst gegen Hamburg und Düsseldorf wurde die 4er Kette wieder ausgepackt. Dass beide Abwehrformationen verschiedene Taktiken, Personal und Energien benötigen, sollte klar sein. Intensive Spiele gegen Topteams wie den HSV und die Fortuna sind auch keine normalen Spiele. Auch Hamburg hat zu dem Zeitpunkt der Saison noch keinen guten Drive. Düsseldorf jedoch hat uns mit seiner Taktik schön hops genommen.

Man hat in den ersten Spielen mit ansehen müssen, wie einfach unsere erste Pressinglinie von Regensburg, Münster und Bielefeld überspielt wurde und im Mittelfeld eine zu große Lücke klaffte. Deshalb lässt der Trainer es nun kompakter angehen. Hoffen wir, dass die nötige Laufbereitschaft noch zunimmt. Durch unseren Neuzugang Bartlomiej Wdowik dürfte es auf der linken Seite in Zukunft wieder etwas lebendiger werden. Die beiden Außenverteidiger sind essenziell für die Vorstöße Richtung gegnerischer 16er. Hier muss Stefan Leitl durch ein variableres Aufbauspiel Lösungen finden, um die Außen freizuspielen. Mit Lee und Rochelt wäre eine Überzahl auf den Außen sinnvoll.

In der Hoffnung, dass diese beiden noch besser in unser Spiel kommen, könnte zusammen mit Lars Gindorf ein interessantes, kreatives Mittelfeld wachsen. Hier stehen noch Hausaufgaben wie die Frage nach Mann- oder Raumdeckung, schnellere Rückwärtsbewegung, Standard-Stärke und allgemeines Pressing-Verhalten an. Absolute Voraussetzung hierfür wäre eine deutliche Verbesserung der Laufwege und der Laufbereitschaft. Auffällig in allen fünf Pflichtspielen waren zahlreiche Fehlentscheidungen und Abstimmungsprobleme (wer läuft wann wo genau hin?). Denn nur, wenn die Jungs in sich bietende Räume laufen und diese bespielen, Lücken reißen, werden auch Chancen entstehen.

Harvard Nielsen ist sicherlich wichtig als erfahrener Anker zwischen Sturm und Mittelfeld, allerdings fehlt ihm zur Zeit die Spritzigkeit und das Glück in seinen Aktionen. Das Hybrid aus 10er, 8er und zweiter 9er tut ihm nicht gut, da er versucht, zu viele Aufgaben zu übernehmen. Ihn sehe ich eher als Einwechselspieler mit frischen Impulsen. Gleiches gilt für Andreas Voglsammer. In der Doppelspitze sind Tresoldi und Ngankam eigentlich ein Muss. Sie würden die Pressing-Intensität deutlich erhöhen. Schade, dass Marcus Mann nicht noch einen starken 8er verpflichten konnte. Das hätte uns mehr Wucht und Intensität verliehen…

Unsere Mannschaft 24/25 ist eigentlich viel zu gut besetzt und in großen Teilen auch viel zu gut eingespielt, als dass wir im Tabellenmittelfeld oder schlechter versinken. Deshalb sind die momentanen Probleme etwas unverständlich. Stefan Leitl hatte zu Beginn der letzten Saison auch erst seine Schwierigkeiten, bevor es dann eine längere Erfolgsserie gab. Zum Start der Rückrunde kamen wir dann sogar mit dieser sagenhaften Standardstärke aus Spanien zurück, könnt Ihr Euch erinnern? Leitl konnte jede kleine (Länderspiel-)Pause nutzen, um Hannover 96 zu tunen. Ich bin nach meiner schlechten Laune nach dem Düsseldorf-Spiel tatsächlich der Meinung, dass wir uns in den nächsten Partien besser präsentieren werden!

Die Lieblingsfolgen vom 96Freunde-Podcast mit Altin Lala, Florian Fromlowitz und Ewald Lienen. Viel Spaß beim Reinhören!

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