Zahlen lügen nicht! Ein Plädoyer für Schindler und Sulejmani

Ein Plädoyer für Schindler und Sulejmani von Steven Gläser

Januar 2021, und unsere Roten schießen beim Sturm auf die Führungsgruppe der zweiten Liga leider zu wenig entscheidende Tore. Wer allerdings umso mehr schießt sind die Kritiker – und zwar mit Beschimpfungen auf unsere beiden Außenbahnspieler Kingsley Schindler und Valmir Sulejmani. Sie werden nämlich für die oftmalig magere Torausbeute und Flaute in der Offensive (haupt)verantwortlich gemacht. Trotzdem stellt Kenan Kocak die beiden immer wieder von Anfang an auf. Er will scheinbar das Platzen des Knotens erzwingen, korrigiert sich aber auch mal mit der doppelten Auswechselung bereits in dreißigsten Minute, wie im Spiel gegen St. Pauli…

Was ist tatsächlich dran an unseren beiden Neuzugängen aus dem Sommer 2020? Dazu ist ein kleiner Abstecher in für Alle zugängliche Statistiken und Zahlen sehr hilfreich. Ein bisschen taktisches Gefühl und Psychologie kann hier auch nicht schaden…

Kingsley Schindler, 27 Jahre alt, Rückennummer 27, geboren im schönen Hamburg.
Er kickte bereits in der U19 von Hannover 96, bevor es über Hoffenheim II und erfolgreiche Jahre in Kiel zum 1.FC Köln ging, wo er zuletzt auf der Reservebank versauerte. Im Sommer 2020 auf Leihbasis OHNE Kaufoption zu 96 gekommen, war der „King“ bisher in allen 18 Saisonspielen, meist in der Startelf, eingesetzt. Kritiker bemängeln, Schindler sei wohl Liebling von Kenan Kocak. Anders sei seine ständige, unbefriedigende Berücksichtigung nicht zu erklären. Null Tore stehen einem ärgerlichen Eigentor gegen den KSC am letzten Spieltag gegenüber. Doch was sieht der Coach, was viele von uns nicht sehen…?

Trotz allen Unmuts konnte man nach den letzten Spielen auch immer die Anerkennung lesen, dass Schindler doch immer wieder einiges versuchen und sich in das Offensivspiel einbringen würde. Für diese Beobachtung stehen dann auch vier erarbeitete Großchancen in der laufenden Saison. Gegen Karlsruhe hätte es ja auch fast mit einem eigenen Kopfball in des Gegners Tor geklappt. Seine Passgenauigkeit liegt bei insgesamt soliden 68 Prozent – und im Detail bei 59 Prozent in der gegnerischen Hälfte und 75 Prozent in der eigenen Hälfte. Das klingt erstmal so, als seien die Anspielstationen in unserer Hälfte zahlreicher, als im Vorwärtsgang im gegnerischen Feld. Fehlt da die Bindung zu Haraguchi und Ducksch, die für einen linken Außenbahnspieler essentiell wäre…?

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Hierzu eine weitere Statistik:
Seine bisherigen 18 Spiele bestritt Schindler in folgender Reinfolge auf folgenden Positionen:
Zweimal als Rechtsaußen, Fünfmal als rechter Verteidiger, dreimal als Rechtsaußen, im rechten Mittelfeld, und am Ende (bis jetzt) erneut siebenmal als Rechtsaußen. Die von Kocak beschworene Konstanz sieht definitiv anders aus! Es ist die erste Station in seiner Karriere, in der Schindler quasi die gesamte rechte Seite taktisch beherrschen und praktisch beackern muss. Weil die Alternativen in Form von Kaderbreite fehlen und weil Schindler „leider“ einfach ein sehr gut ausgebildeter, moderner Fußballer ist. An diesem Punkt sollten wir auch beherzigen, dass es sich hier um eine Leihe ohne Kaufoption handelt!! Wenn es nicht überraschend anders kommt und 96 sich noch mit dem 1.FC einigt, wandert Schindler im Sommer zurück in eine ungewisse Zukunft nach Köln. Dort, wo gerade alles andere als Zuversicht und Harmonie zuhause ist und eine lange Streichliste über den Köpfen der Spieler schwebt. Das alles wird sich definitiv im Kopf des 27-jährigen abspielen.

Der „King“ wird vielseitig kritisiert – doch die Statistiken sprechen eine andere Sprache. Darüber hinaus wird er häufig zum „Opfer“ der taktischen Spielereien

Zum Vergleich: in seiner Zeit in Kiel von 2016 bis 2019 spielte Kingsley 65-Mal konstant auf Rechtsaußen, schoss 28 Tore und lieferte zwölf Vorlagen. In der Saison 18/19 schoss er zwölf Tore und war in den Werten saisonweit nur gering „besser“ als die derzeitige Tendenz. Soll heißen: der Junge ist auf dem richtigen Weg, muss aber weiter vorne eingesetzt werden, ohne die vielen Rückwege in die eigene Defensive. Wenn Haraguchi und Ducksch ihm dann noch die Räume ins rechte Halbfeld, Richtung Strafraum öffnen, kann er noch sehr wertvoll werden! Reiner Außenflitzer und Flankengeber ist nicht sein cup of tea…

Valmir Sulejmani, 1996 in Großburgwedel geboren, Hannoverscher Jung.
In der U19 ausgebildet, dann über Union Berlin, Hannovers U23 und Waldhof Mannheim in die Lehre gegangen. Ausgebildeter Mittelstürmer oder hängende Spitze, womit wir direkt beim Problem sind: In 17 zumeist eingewechselten Spielen musste „Valle“ auf links ähnlich flexibel die Lücken stopfen, wie Schindler auf rechts. Seine Heatmap könnte auch die von Edgar Prib sein: eigentlich für die linke Offensive eingeteilt, musste er vor allem kurz vor und kurz hinter der Mittellinie präsent sein. Zum Toreschießen und -vorbereiten war da bisher wenig Zeit, auch wenn ein Tor und zwei Vorlagen seinen Drang zur Box signalisieren. Ein weiterer Wert, der verdeutlicht, dass Sulejmani dringend raus aus dem Tandem mit Niklas Hult und weiter in die Sturmspitze muss, sind deutliche null Prozent an präzisen Flanken!! Auch kaum unterbundene Angriffe und Tacklings weisen ihn nicht als Pendler auf der linken Seite aus. Kein Wunder, dass die öffentliche Wahrnehmung bisher eher negativ ausfällt… Zum Ausgleich solltet Ihr Euch nochmal das DFB-Spiel von entfesselten Waldhof Mannheimern gegen Eintracht Frankfurt aus der Saison 19/20 anschauen! Valmir on fire – und vor allem da wo er hingehört, in der Mitte!!

Quo vadis, mein persönlicher Eindruck:
Kenan Kocak hatte von Beginn der Saison an Mühe, ein System zu finden. Erst durch fehlende Neuzugänge nach dem großen Umbruch. Dann durch die langen Ausfälle von geplanten Flügelspielern wie Maina und Evina. Letztere werden auch nicht sofort wieder bei hundert Prozent sein bei Rückkehr in den Kader. Aber sie werden lang vermisste Alternativen zu den etwas fehlplatzierten Schindler und Sulejmani sein! Das öffnet dann auch wieder die Chance, diese beiden Angreifer auf die Box auszurichten, anstatt sie auf den Flügeln und zur Absicherung der Defensive zu verheizen. Mit einem weiteren Jahr zweite Liga vor Augen, sollten wir auf einen Verbleib von Schindler verhandeln und Sulejmani einfach immer wieder vorne reinwerfen. Dann wird aus Frust ganz schnell wieder Lust!

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