Eine sparsame Transferpolitik, die nur bedingt Spielräume lässt, trifft auf die sportlich gewollte Trennung von langjährigen Spielern. Eine brisante Kombination. Ein Rückblick auf den gestrigen Saisonauftakt – und eine skeptische Einschätzung der Kaderpolitik.
Trainingsauftakt in Hannover. Die Atmosphäre ist konzentriert bis still, die Spieler fokussieren sich auf die Übungen, Kocak schaut sich anfangs alles schweigend an, nur die Stimme des Co-Trainers schallt durchs Stadion. Zieler trainiert normal mit, beim abschließenden Trainingsspiel darf er aber nicht mitmachen, sondern muss individuelle Übungen mit Torwarttrainer Rolf Moßmann absolvieren.
Das Trainingsspiel ging nach 30 Minuten übrigens 0:0 aus. Weil nicht genügend Feldspieler an Bord waren, schlüpfte Hendrik Weydandt in eine Doppelrolle: Er wechselte je nach Spielsituation die Teams und spielte immer für die Mannschaft im Ballbesitz.
Bis auf zehn Journalisten und acht Fotografen durfte coronabedingt niemand Externes beim Auftakt mit dabei sein. Es war ungewohnt, die leeren Ränge zu sehen, und irgendwie auch ein bisschen traurig.
In der anschließenden Pressekonferenz, bei denen Kocak schriftlich eingereichte Fragen der Journalisten beantwortete (ein direktes Gespräch mit dem Trainer war wegen Hygiene-Vorschriften nicht realisierbar), ging es natürlich auch um die Causa Zieler. Kenan Kocak warb um Verständnis für seine Entscheidung, betonte seine „Hochachtung für den Menschen Ron-Robert Zieler“ und unterstrich, dass er noch vor dem Spiel gegen Bochum mit Zieler ein Gespräch geführt habe. „Meine Aufgabe als Trainer ist es, mit den Spielern über sportliche Belange zu sprechen, das habe ich mit jedem Spieler weitestgehend getan. Insofern denke ich, dass die Kommunikation zwischen Ron und mir klar und eindeutig war.“
Die sportliche Einschätzung von Zuber und Kocak zu Zieler fiel bekanntlich negativ aus. Laut HAZ-Printausgabe vom 31.07.2020 „kreiden die Verantwortlichen von 96 dem Weltmeister mehr als zehn verlorene Punkte an.“ Mehr als zehn Punkte, die Zieler verschuldet haben soll – eine sehr hohe Zahl, die erklärungsbedürftig erscheint. Auf eine schriftlich eingereichte Frage, wie sich diese mehr als zehn Punkte zusammensetzten, wurde in der Pressekonferenz leider nicht eingegangen.
Kocak über Prib: „Dass Spieler nach einem solchen Gespräch nicht „Hurra“ schreiend durch die Gegend laufen, verstehe ich“
Neben Zieler stehen auch Marvin Bakalorz, Edgar Prib, Felipe und Josip Elez auf Kocaks Streichliste. Das kann man unter sportlichen Gesichtspunkten angemessen (Bakalorz und Felipe) oder fragwürdig (Elez und Prib) finden. Die angestrebte Trennung von Edgar Prib leuchtet kaum ein – mit fünf Toren war Edgar Prib sogar zweitbester Rückrundentorschütze nach Marvin Ducksch. Es wäre eine merkwürdige Abkehr vom Leistungsprinzip, Prib nach seiner besten Saison bei Hannover 96 zu schassen. Zudem symbolisierte Prib mit seinem Comeback nach zwei Kreuzbandrissen den jungen Spielern eines: Du kannst deine Ziele erreichen, du musst nur wollen.
Auf die Gründe für die angestrebte Trennung von Prib angesprochen („Herr Kocak, Edgar Prib schoss die zweitmeisten Tore in der Rückrunde. Warum spielt er in Ihren Planungen trotzdem keine zentrale Rolle mehr?“), ging Kocak nicht auf die Gründe ein, sondern schilderte nur, dass es ein Gespräch gegeben habe, das „transparent, offen, ehrlich“ gewesen sei.
Im Video: Die ganze Antwort von Kocak zu Prib:
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Prib, der seit sieben Jahren bei Hannover 96 ist, zwei Kreuzbandrissen erlitt und im April 2019 sein Comeback gefeiert hatte, war offenbar irritiert und sehr enttäuscht vor dieser Entscheidung. „Dass Spieler nach einem solchen Gespräch nicht „Hurra“ schreiend durch die Gegend laufen, auch enttäuscht sind, das verstehe ich“, sagte Kocak.
Mit Blick auf die Fans, die seine Entscheidung nicht nachvollziehen können, sagte Kocak: „Ich verstehe auch die Fans, dass sie jahrelang gediente Spieler schützen wollen.“ Dennoch sei es seine Aufgabe und Pflicht, gemeinsam mit Gerry Zuber zusammen solche Entscheidungen zu treffen. „Wir haben dem Spieler relativ früh- und rechtzeitig mitgeteilt, wie seine Situation aussieht.“ Kocak betonte abschließend, dass er große Hochachtung vor Pribs Karriere habe, und kam zu dem Fazit: „Insofern denke ich, auch da ist alles gesagt worden.“
Finanzielle Gründe spielen bei den Transfers offenbar eine große Rolle
Wir haben auch eine Frage eingereicht, die zum ersten Mal in der Kolumne von Frank Meyer aufgetaucht war: „Man kann nicht das Gerüst einreißen, wenn man aufsteigen will.“ Auf diesen Satz angesprochen, sagte Kocak:
„Ich frage mich: Welches Gerüst?
Wir haben Waldemar Anton verlieren müssen, das ist ein Verlust. Jannes Horn muss nach Köln zurückkehren. John Guidetti muss nach Alavés, weil das Kostenfragen sind. Rechts hinten haben wir anderweitig entschieden. Deshalb haben wir den größten Stamm zusammengehalten, der in den letzten Spielen auf dem Platz war. Das Leben ist kein Wunschkonzert.
Wenn wir uns Spieler nicht leisten können, aus finanziellen Gründen – wir in Hannover müssen es akzeptieren, dass wir uns nicht jeden Spieler leisten können, und auch uns nur so lang strecken können, wie es geht. (…)
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Ich hätte auch gerne den größten Stamm, ich hätte auch gerne, dass Horn, Guidetti, Anton noch da sind. Das Leben ist wie gesagt kein Wunschkonzert. (..) Aber es ist auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit, und da ist immer der Verein gefragt. Ich bin immer für einen gesunden Verein, deswegen kann ich den Verein in der Hinsicht nachvollziehen, dass man auch nicht alles um jeden Preis macht, und das sollten auch alle Leute wissen.“
Kocak lässt in dieser Antwort durchblicken, dass finanzielle Zwänge bei der Kaderzusammenstellung eine große Rolle spielen und bei bestimmten Entscheidungen von Hannover 96 in den letzten Wochen auch bereits gespielt haben. Offenbar, so zumindest die Lesart zwischen den Zeilen, scheiterten bereits Verpflichtungen von Wunschspielern wie Horn aus finanziellen Gründen.
Kocak: „Deswegen kann ich den Verein in der Hinsicht nachvollziehen, dass man auch nicht alles um jeden Preis macht.“
Ist die Kombination aus sparsamer Transferpolitik und der Trennung von Führungsspielern wirklich sinnvoll?
Sparsamkeit bei den Transfers trifft auf die sportlich gewollte Trennung von langjährigen Spielern.
Eine brisante Kombination.
Wahrscheinlich wird der enge finanzielle Rahmen bei den Transfers dazuführen, dass vor allem junge, talentierte (ergo: günstige) Spieler bei Hannover 96 (wie Evina oder Sulejmani) unter Vertrag genommen werden sollen. Dann sollten aber auch erfahrene Spieler bereit stehen, die diese jungen talentierten Spieler anleiten und führen könnten. Nicht umsonst betonte Anton in seinem Abschiedsinterview in der HAZ: „(…) die erfahrenen Spieler wie Eddy Prib, Felipe, Marvin Bakalorz oder Ron-Robert Zieler haben mir in all den Jahren unheimlich geholfen und hatten immer ein offenes Ohr für mich.“
Ein Kader, der aus finanziellen Gründen auf junge Talente gebaut sein wird, braucht alteingesessene Führungsspieler, die den Talenten den Weg vorgeben. Doch diese langgedienten Spieler haben alle keine Zukunft mehr bei Hannover 96.
Ob die Kombination aus Sparsamkeit bei den Transfers und der forcierten Trennung erfahrener Spieler wirklich in einem schlagkräftigen Kader mündet, erscheint fraglich.
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