Hätte hätte Abwehrkette

Kaum eine Diskussion wird seit Saisonbeginn bei Hannover 96 mehr geritten als die Rufe nach der Rückkehr zur 4er Kette. Was gegen Elversberg und Nürnberg brutal wackelte und uns in Sandhausen ins verheerende Elfmeterschießen schickte, zeigte sich in Rostock endlich formverbessert. Schauen wir doch mal, was das Lehrbuch, die Zahlen und ein Taktikexperte dazu sagen.

Grundsätzlich haben wir zum Saisonstart 8 Tore in 4 Spielen gefangen, damit „nur“ 2 Unentschieden plus einen Sieg in der Liga erringen können und sind unglücklich in der ersten Pokalrunde gescheitert. Klingt erstmal nicht so cool, weil es erneut dumme Gegentore waren. Schnell wurde ein Sündenbock gefunden: Trainer Stefan Leitl und seine doofe Dreierkette. Argumente: 3 ist erstmal weniger als 4 und muss somit eben schlechter sein. Lauthals wird deshalb die Rückkehr zu 4 Verteidigern auf Reihe gefordert, ohne sich zu erinnern, was uns diese Aufstellung in der Vergangenheit für Kummer gebracht hat. Und auch ohne genau zu schauen, ob wir überhaupt die Typen für so einen Verbund im Kader haben. Wir haben deshalb mal genauer hingeschaut…

Ende letzter Saison wurde nach dem Rückspiel-Debakel gegen Peine Ost von 4er auf 3er Kette umgestellt, in der Folge spielten die Roten 8 Spiele wieder relativ stabil, mit nur einem Intermezzo in Hamburg, wo mit 4 Mann hinten Beton angerührt wurde. Das schmerzhafte Ergebnis ist ja hoffentlich noch bekannt.
Das damalige Torverhältnis (der 3er Kette) lautete 17:22, wobei das alles relativ ausgeglichen steht, zieht man mal 3-4 zu viele Tore beim rabenschwarzen Tag in Hamburg ab.

Hier muss man auch bewerten, dass in der Phase viel Fluktuation durch Platzverweise und Sperren in der Abwehr herrschte. Mal war Börner verletzt, mal entweder Neumann oder Lührs gesperrt. Wo die Reihe Arrey-Mbi – Lührs – Neumann erstmal abenteuerlich klingt, machte sie ihre Aufgabe aber relativ gut. Mit der Rückkehr von Julian Börner gab es zudem den Extraschub Einsatzwillen und Mentalität.

Börners derzeitig gesetzte Kollegen bieten noch zu viele Freiräume für die gegnerischen Angreifer, dass Stellungsspiel rund um Königstransfer Marcel Halstenberg sitzt noch nicht und insgesamt scheint noch nicht die richtige gemeinsame Kommunikation gefunden zu sein. Bei 2 Neulingen (Ezeh und Halstenberg) ist das in der Frühphase der Saison aber auch normal und wird sich bessern. In Rostock ließen die Jungs hinten schon deutlich weniger zu, wodurch das einzige Gegentor dann auch ein Eigentor war.

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Ein Problem scheint momentan die mangelhafte Laufleistung zu sein, wodurch unsere Defensive zu weit vom Gegner entfernt steht und zu spät in Zweikämpfe kommt. Den Kontrahenten wird zu viel Zeit gegeben, um zu sich zu positionieren und Entscheidungen zu treffen. Der Stressfaktor ist zu niedrig. Als Beispiel sei hier Phil Neumann genannt, der in 3 Spielen „nur“ 32 Kilometer gelaufen und damit noch unser lauffreudigster Verteidiger ist. Er zog in den Spielen bisher insgesamt 42 Sprints an und kam in der Spitze auf rund 34 km/h. Zum Vergleich: die Top-Läufer der Liga (meist Stürmer und Offensive) kommen auf über 80 Sprints und auf über 35 km/h…

Bright Arrey-Mbi und Marcel Halstenberg fallen nicht als große Sprinter oder Läufer auf. Halste präsentierte sich in Rostock mit verbessertem Stellungsspiel und klugen Eröffnungspässen. „Der wird noch wichtig für uns“, wie man so schön sagt. Arrey-Mbi macht seine Sache auf links immer besser und kam zuletzt auf gute Bewertungen. Auch hier zeigt die Formkurve langsam höher.

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Wer mutigen, erfrischenden Fußball in Hannover sehen will, kommt meiner Meinung nach nicht an der 3er/5er Kette vorbei. Die Vorteile der Überzahl im Vorwärtsgang liegen auf der Hand. In den meisten modernen, ambitionierten Teams wird so gespielt. Der dynamische Vorwärtsgang und das hohe Pressen kreieren dann auch die derzeitigen Glücksmomente bei Teuchert und Co. Übrigens erfordert es viel Übung und Spielintelligenz, innerhalb des laufenden Spiels von 3er auf 4er Verteidigung um zu stellen. Um solch eine Taktik spontan auf den Platz zu legen und auf Druckphasen des Gegners zu reagieren, muss 96 erst noch weiter zusammen wachsen.

So weit, so lala. Vergrößern wir zum Ende einfach mal den Fokus, weg von der Abwehrreihe, und fragen uns, ob das Problem der zu viel kassierten Tore nicht vielleicht seinen Ausgang in einem ganz anderen Mannschaftsteil hat… Darüber durfte ich neulich mit dem Fußballlehrer Alexander Kiene aus Hannover reden. Auch er sieht den derzeitigen Problemball nicht erst, wenn er im Netz einschlägt. Ausgehend von Ballverlusten in der Offensive, schlecht nach hinten arbeitenden Stürmern, einer zu schnell überspielten, harmlosen Mittelfeld-Reihe (die bei Ballverlust zu viel Platz im Mittelfeld lässt), bis zum Aufeinandertreffen auf eine wackelige, verunsicherte Abwehrreihe. Es geht zu einfach und zu schnell mit dem heißen Messer durch die Butter von Hannover 96… Deshalb, so betont der Fußballexperte, müsse schon das Mittelfeld aktiv mit der Abwehrarbeit beginnen, wacher sein, weniger Lücken zulassen, und schnellere Entscheidungen treffen.

Vor allem müsse 96 endlich eine stabile Achse aus lautsprechenden Leadern finden, Leitwölfe, die die Mannschaftsteile anführen und aufrütteln, so Alex Kiene. Jemand, der Selbstvertrauen und Glauben auch verbal durch das letzte Drittel brüllen kann. Nürnberg und Sandhausen seien nicht die Frage nach dem Versagen einer bestimmten Formation gewesen, sondern das simple Fehlen von Anführern und Kämpfern, die das Maul aufmachen. Diese müssten nun endlich gefunden werden, um auch die Abwehr zu entlasten. Die Frage ob 3er oder 4er Kette kann somit nur mit der aktiven Mitarbeit der anderen Mannschaftsteile beantwortet werden.

Aber dazu demnächst sicher noch mehr Infos auf diesem Eurem Lieblings-96Blog 🖤⚪💚