Hannover 96 bleibt dran: Von Spatzen und Lawinen

Hannover 96 gewinnt gegen Ulm und bleibt oben dran.
Hannover 96 gewinnt gegen Ulm und bleibt oben dran.

Bitte festhalten und staunen: Hannover 96 ist nach 15 Spieltagen das Team mit den meisten gewonnenen Spielen, nämlich 8 an der Zahl! 96 hat ebenso den besten Start in eine Saison seit 8 Jahren hingelegt. Mit dem gefeierten 3:2 ist unseren Roten etwas geglückt, was es seit 40 Jahren (!) nicht mehr zu bejubeln gab: einen zwei Tore Rückstand noch in einen Sieg zu wandeln. Ein geiles Gefühl, denn in der jüngeren Vergangenheit wäre uns eine solche Aufholjagd definitiv nicht geglückt. 

Und trotzdem schmollen viele Fans immer noch immer, denn ihnen scheint der mürbe Kick wichtiger zu sein als das Ergebnis. Eine Luxuskritik, die man in dieser 2. Bundesliga besser schnell aus den Köpfen verbannen sollte. Wir brauchen uns nicht darüber streiten, dass uns unser Herzensverein auch in dieser Saison wieder Nerven kostet und man sich einiges an Gegurke nicht gut anschauen kann. Man mag sich mit Stefan Leitls Art und Taktik schwer tun, oder schlichtweg nur Bahnhof bei der Spielidee verstehen.

Doch an Tagen wie jenem Samstag muss man auch einfach akzeptieren können, dass wir das Team mit den meisten Siegen in der Liga sind. Es kann nicht sein, dass ein Hahn danach kräht, wie diese Punkte erspielt wurden.
Viele Fans scheinen verärgert zu sein, dass man nicht auch die beiden Absteiger Köln und Darmstadt locker weggeputzt hat. Scheinbar Anlass genug, um Weihnachtsmarkt und Shoppingtour dem Support im Niedersachsenstadion vorzuziehen. Ist ja nur Ulm, Dorfverein und wenig attraktiv. Aber dann bei einem 0:2-Rückstand das Internet vollheulen… Rund 25.000 Stadiongänger sind für die bisher sehr gute Hinrunde und für eine Stadt wie Hannover echt traurig.

Von krähenden Hähnen nun zu mauernden Spatzen:

Mit Ulm war am Samstag die zweitstärkste Defensivabteilung zu Gast bei der stärksten. Bereits bei ihrem Durchmarsch durch die 3. Liga kassierten die Bayern die wenigsten Gegentore. Es roch im Vorfeld also nach genau dem Abwehrriegel, der der Offensive von Hannover 96 wissentlich überhaupt nicht schmeckt. Mit lauf- und pressingstarken Außenbahnen und einem tiefen, humorlosen Block aus drei Innenverteidigern wusste der SSV ganz genau, was er im Niedersachsenstadion tat. Mit zuletzt fünf Unentschieden im Rücken setzte man immer wieder unangenehme Umschaltstiche.

Hannover 96 versuchte es mit einem 3-4-2-1, um die Dose zu öffnen. Gute bis sehr gute Chancen durch Voglsammer und Lee endeten mehrmals zu ungenau. Ulm bot wie erwartet wenige Lücken und die Hausherren rannten sich fest. In der Umkehrbewegung brauchte man zu lange, um den Weg zurück zu machen und sich zu ordnen. Schlechte Restverteidigung, ein Begriff, den wir in dieser Saison schon öfters schlucken mussten. Besonders die rechte Seite mit Josh Knight und Sei Muroya präsentierte sich mit großen Abstimmungsproblemen. Die beiden Spatzen-Tore entstanden dann über links, wo man Marcel Halstenberg gezielt ins Laufduell lockte, wenn Phil Neumann mal wieder zu hoch stand. Warum Neumann erneut für die Taktik geopfert und auf links gestellt wurde, wäre auch nochmal zu klären.

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So stand es kurz nach der Pause bereits 0:2, mit zwei fast identischen, klar einstudierten Gegenstößen. Es konnte einem Angst und Bange werden, wenn selbst eine limitierte Mannschaft wie Ulm unsere Lücken ausgespäht hatte und eiskalt zu nutzen wusste. Entsetzt über so zahlreiche individuelle Schnitzer an diesem Tag, stellte Stefan Leitl in der 2. Hälfte auf stabile 4er Kette, ein 5er Mittelfeld und Nicolo Tresoldi als einzige Sturmspitze um. Beziehungsweise zwei Spitzen, aber Voglsammer zog es vor, sich hängen zu lassen und somit vor der Ulmer Kette zu agieren. Ulm sollte somit auf dem tiefen Acker des Niedersachsenstadions weiter müde gespielt werden. Und dieser Plan sollte tatsächlich aufgehen: Ulm pumpte und die Abstände in der Defensive wurden größer.

Hannover 96 zeigt Mentalität

Der sich über die U23 wieder in den Fokus gespielte Kolja Oudenne ersetzte den schwachen Muroya auf der rechten Seite und bedankte sich für so viel unerwarteten Platz. Er kam quasi zur richtigen Zeit an den richtigen Ort und konnte seine Stärken optimal einbringen. Spätestens hier sah Ulm-Trainer Thomas Wörle eine Lawine auf sein Team zukommen, die man nicht mehr verteidigen konnte – so betitelte er auf der anschließenden PK den immer größer werdenden Druck der Gastgeber. Auf der halblinken Seite krönte Bayern-Leihgabe Hyun Ju Lee seinen unermüdlichen Fleiß mit dem Anschlusstreffer in der 60. Minute, als er sich erneut in die Mitte dribbeln und abschließen konnte. Damit war Hannover 96 erwacht und hatte Hunger auf mehr. Vor allem ein Roter: Nicolo Tresoldi.

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Wenn wir über unser (offensives) Mittelfeld reden, müssen wir auch über Lars Gindorf reden, dessen Personalie in dieser Woche eine menge Staub aufgewirbelt hatte. Das Talent, das mit einem Interesse von Liga-Konkurrent Darmstadt in Verbindung gebracht wird, verbrachte auch gegen Ulm wieder die meiste Zeit auf der Bank. Wir alle wissen nicht, in welcher Form sich der 23-Jährige befindet, oder wie die Trainingseindrücke sind. In Hannover hat allerdings schon wieder jeder Bratwurstdreher eine Meinung dazu. Blicken wir aber auf den aktuellen Spielstil unserer Startelf und hören bei den Pressekonferenzen mal genau hin, erkennen wir, dass das hohe Anlaufen und Gegenpressing im dritten Jahr unter Stefan Leitl seine höchste Intensität erreicht hat.

Kraft, Bissigkeit und Ausdauer müssen bei jedem Spieler (vor allem in den vordersten 2 Reihen) „am Peak sein“, wie der Coach es gerne nennt. Das hatte ja sogar Taddel Momuluh begriffen und so den wichtigen Ball vor seiner Flanke zum 2:2-Ausgleich in Köln erobert. Lars Gindorf scheint konditionell gerade nicht bei 100% und somit „nur“ ein perfekter Einwechselspieler für die Zeit zu sein, wenn die Gegner langsam abbauen. Sehr schön anzuschauen bei der tollen Vorarbeit vor Tresoldis 3:2.

Zu erwähnen sei noch das brutal starke Spiel von Fabian Kunze und Enzo Leopold, quasi der Maschinenraum der Hannoveraner Lawine. Die statistisch gemessenen Werte waren einfach überragend, auch wenn sie sowohl die beiden Gegentore nicht verhindern als auch keine eigenen Treffer beisteuern konnten. Wieder einmal rettete der eingewechselte Impact von der Bank den Sieg. Das kann man nicht jede Woche erwarten und sollte es intensiv mit der Startelf vom Samstag aufarbeiten. In Grund und Asche schimpfen muss man die Leistung aber auch nicht. Das Team hat erneut Moral bewiesen und sich erfolgreich aus einer drohenden Niederlage befreit. Es waren individuelle Fehler, die die Spatzen erst stark gemacht haben. Dass unsere Spielweise und System alright sind, hat die Lawine der 2. Halbzeit bewiesen. Grüße von Platz drei gehen raus an all die Kritiker da draußen.

Die Lieblingsfolgen vom 96Freunde-Podcast mit Altin Lala, Florian Fromlowitz und Ewald Lienen. Viel Spaß beim Reinhören!

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