Mein Derby-Tagebuch

Derbytime in Niedersachsen, und das Kribbeln im Bauch nahm über die letzten 14 Tage immer mehr zu. Im Vorfeld wurde alles geboten, was so eine jahrzehntealte Rivalität braucht: provozierende Banner im Block, leere Versprechen (Julian Börner versprach schon Anfang der Saison 2 Derbysiege, naja…), freche Kollegen auf Arbeit, bis zu bösen Blicken in der Fußgängerzone. Samstag war es dann endlich endlich soweit und es ging für mich aus dem Harzvorland Richtung Landeshauptstadt!

Während ich mir kurz nach 9 am Bahnhof unserer Kleinstadt die ersten Bierchen gönne und einen „Obstsaft“ für die Fahrt mische, schaut die örtliche Polizei mal freundlich vorbei, ob denn nicht irgendwelche dörflichen Fanlager Ärger suchen. Fehlanzeige. Die Blaugelben fahren rechts rum über ihre Kackstadt, während die paar versprengten Roten traditionell den Weg links rum über Hildesheim wählen. Hier, im von Casper so treffend besungenen „Hinterland“, sucht man Gleichgesinnte oft vergebens. Die meisten Fans von 96 halten sich unsichtbar, ohne Fahne im Garten oder Sticker auf dem Auto. Es gibt immer wieder Berichte von mutwilliger Zerstörung durch Dorf-Hools, und so holt man meistens nur am Spieltag mal das Trikot raus, hinter verschlossener Tür. Triste Realität im blaugelben Einzugsbereich.

Im Zug sitzen die paar Versprengten schnell zusammen, man tauscht Nummern aus, inmitten von shopping-geilen Teens und Junggessellinnen-Abschieden auf dem Weg in die Großstadt. Ab Hildesheim sind wir dann endlich im Thema, und es gab Fahrten, wo hier bereits die ersten Gesänge im Abteil angestimmt wurden. An diesem Derby-Tag bleibt es leider überraschend ruhig, man könnte meinen, es ginge heute „nur“ gegen Regensburg oder Fürth.

Ankunft um 11 in der schönsten Stadt Deutschlands und beim Anblick des ganzen Gewusels zündet der Bock sofort nochmal 3 Stufen schärfer! Aber auch hier, abseits des vorab zum Stadion gezogenen Fanmarsches, ist es relativ ruhig und für meinen Geschmack zu entspannt. Man könnte meinen, die Fans der Roten hätten den anstehenden Derbysieg schon bereits seit Tagen als sicher gefeiert. Julian Börner lässt grüßen!
Da liegt nämlich auch der Hase im Pfeffer: 4 Siege in Folge, mit einem sympathischen Trainer und einem jungen, offensiven Team, haben bei vielen 96ern ein Gefühl von innerer Zufriedenheit einkehren lassen. Beier schmeißt ne Feier und Zieler hält die Null. Peine Ost werden wir mit einer Packung wieder nach Hause schicken, die Frage ist nur, ob 3,4, oder mehr zu Null.
Der Spaziergang aus der Altstadt zum Waterloo und weiter zum Eingang verläuft bierseelig, und am letzten alkoholgetränkten Stand erscheint mir im Geiste Stefan Leitl, der die fehlende Gier und Giftigkeit bei den Fans bemängelt. Zufriedene Geselligkeit statt „Alles für den Derbysieg“? Ein Dreier ist im Tagesplan der meisten Fans scheinbar schon gemachte Sache, wenn man den Gesprächen drumherum so lauscht…

Ich muss zugeben, dass ich aufgrund von Schichtarbeit, vielköpfiger Familie und dem Umstand, eine runde Stunde von Hannover weg zu wohnen, es nur alle paar Monate ins Stadion schaffe. Gestiegene Haushaltspreise tun gerade ihr übriges. Auf dem Papier bin ich also weniger Ultra, als viel eher Eventi, leider. Aber wenn es dann mal passt, dann ist es auch egal, ob der Gegner Aue oder Ingolstadt heißt. Maul auf für den HSV gehört für jeden Stadionbesuch genauso dazu wie Schal und schales Bier!

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Daß viele andere Fans trotzdem einfach nur einen unterhaltsamen Nachmittag mit möglichst viel Unterhaltung auf dem Rasen verbringen wollen, wird mir schnell klar, als ich meinen Platz auf der West einnehme. Denn nachdem die „Alte Liebe“ verklungen ist und die Fanszene das lethargisch wirkende Team zu ermutigen und an zu feuern versucht, hagelt es unerwartet Schläge und Schimpfe von einem Wut-Opa hinter mir! Ihm ist es zuwider, daß ich (wie übrigens fast alle Leute um uns herum) stehen und uns von dem Push aus der Nordkurve anstecken lassen wollen. Er zieht und zerrt an mir, will mir das Cap vom Kopf schlagen, und bevor ich „ein ernstes Wort“ mit ihm reden kann, schalten sich endlich seine Sitznachbarn ein… Also ich habe ja schon oft komische Leute auf der West erlebt, aber der Wut-Opa führt nun die Rangliste an!
Ein freundlicher Ordner entschärft die Situation und schickt mich auf die Nord, mit der Aussage, dort sei ich sicher vor Event-Fans.
Im Nord-Unterrang ist die Stimmung natürlich durchgehend geil und sobald irgendwelche Hipster das Handy zücken statt zu supporten, gibt’s schnell eine klare Ansage. Allerdings herrscht auch hier Unzufriedenheit, weil unsere Roten heute ihr Spiel nicht wie in den letzten Wochen auf den Platz bekommen. Es fehlen risikobereite Spielzüge ins letzte Drittel, und unsere Flügelflitzer Köhn und Muroya werden schon früh mit rüden Fouls gebremst. Auch Enzo Leopold wird ständig auf die Füße gestiegen, so daß eher Fabian Kunze als Ankurbler auffällt. Die Eintracht lenkt uns geschickt in die Mitte und dort ist unser Latein trotz hoher Passquote schnell zuende. Die vorher groß gelobte Offensivabteilung scheint tatsächlich unter dem Derbydruck gehemmt. Pässe in die Tiefe, Fehlanzeige. Als Peine Ost in Halbzeit 2 dann tatsächlich das 0:1 macht, fühlt es sich wie ein Tritt in die Kronjuwelen an, weckt aber auch die Kurve nochmal ordentlich auf. Nielsens Ausgleich ist verdient rausgespielt und läßt nochmal die Hoffnung im Block eskalieren! Als Henne Weydandt nach langer Abstinenz zum Warmmachen am Block vorbeiläuft, wünscht man sich seine Wucht in der Fünfmeterbox. Doch stattdessen rückt Harvard Nielsen ins Sturmzentrum und öffnet Cedi Teuchert nebenbei Räume. Auch Max Besuschkow als eingewechselter Antreiber wird böse gefoult und der Gästetrainer wirft einen zweiten Ball aufs Spielfeld, um unseren Konter zu unterbinden. Der BTSV spielt also genauso ätzend wie erwartet, während wir zu spät die richtigen Pässe spielen. Am Ende zirkelt Sebi Kerk die Kugel knapp am Gästekasten vorbei, na das wär’s ja noch gewesen!! Ende, Schluß aus.

Man trottet nach Hause, läßt den Kopf leicht hängen und fühlt sich nach 12 Stunden derbsten Adrenalins total leer. Auch die Spieler schlurfen nach Abpfiff vor die Kurve, wirken mehr wie Verlierer als Derbygewinner. Müssen sie aber nicht!! Ganz Hannover ist stolz auf Euch Männer, da ändert auch ein Unentschieden nix dran! Ihr habt nach dem Gegentor Moral bewiesen und seid mit Schwung zurück gekommen. Habt gezeigt, was wir gerade so an Euch lieben! Abteilung Attacke und Chancen für die Youngster! Ihr habt es geschafft, nunmehr 5 Spiele ungeschlagen zu sein, und Eure Moral und Euer Stil geben Anlaß für Hoffnung auf noch mehr! Auch wenn wir kurz mal durchatmen und mit einem Bier nachspülen müssen, sind wir im Herzen absolut happy mit Euch 🖤⚪💚

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Weiter geht’s in Sandhausen und danach zuhause gegen den Hamburger SV. Man muss die Sache im Großen und Ganzen sehen, und da sind wir auf einem tollen Weg. Und dieser Weg führt im März dann nach Peine Ost, wo Ihr das Untier besiegen und Ruhm und Ehre erlangen werdet! Die Bahn Richtung Bad Harzburg spuckt Ihre roten Gäste Stück für Stück an den Bahnhöfen wieder aus. Jedem Fan steht ein wenig Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, aber das Bier schmeckt schon wieder wunderbar. In unserem Kaff angekommen, darf ich mich vor dem Dönerimbiss noch von einem halbstarken Eintracht-Dulli anpöbeln lassen, Konter aber kraftvoll in Nielsen-Manier. Wut-Opas und Oker-Affen sind für uns Rote im Großen und Ganzen gesehen eben keine Gegner…

Die Lieblingsfolgen vom 96Freunde-Podcast mit Altin Lala, Florian Fromlowitz und Ewald Lienen. Viel Spaß beim Reinhören!

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