Bei Hannover 96 fehlt ein kritischer Querdenker

Zu wenig Fußballkompetenz in den Gremien?

Gerhard Schröder ist Vorsitzender des achtköpfigen Aufsichtsrats, dem mit Martin Andermatt nur ein ehemaliger Fußballer angehört. Foto: Getty Images

Innerhalb von vier Spielzeiten steckt Hannover 96 zum zweiten Mal mitten im Abstiegskampf. Zum zweiten Mal hat es Gründe, die nicht nur auf die Qualität des Kaders zurückzuführen sind. Lest hier Tim Blocks kritische Bestandsanalyse.

Von Tim Block

Ausrichtung, Identität und Transferstrategie sind in Hannover leider von Einzelpersonen abhängig. Zu guter Letzt musste Cheftrainer Andre Breitenreiter gehen. 11 Punkte aus 19 Spielen sind selbstverständlich eine zu geringe Ausbeute und unter anderen Konstellationen wäre die Zusammenarbeit schon um einiges früher beendet worden. Die mangelnden Punkte waren am Ende auch der ausschlaggebende Grund für die Trennung. Gute Arbeit leistete der Trainer dennoch. Abgesehen von der Erfolglosigkeit wäre eine Entlassung damit zu begründen, dass das Geschehen auf dem Rasen einfach nicht mit der Art, wie Hannover 96 Fußball spielen will, zusammenpasst.

Doch besitzt Hannover 96 in den Gremien genügend Entscheidungsträger, die die Kernkompetenz besitzen, solch eine solche Entscheidung zu treffen?

Mein subjektiver Eindruck sagt mir eher etwas anderes. Es war schon zu erfolgreicheren Zeiten des Vereins hin und wieder zu hören, dass es in der Breite an fußballerischer Kernkompetenz in oberster Ebene fehlt. Seit geraumer Zeit plagt mich das ungute Gefühl, dass jene Leute mit ihrem Fingerzeig nicht ganz unrecht haben. Es scheint im Rückblick naiv gewesen zu sein, dass man ihnen nicht früher Gehör geschenkt hat.

Im Beispiel von Hannover 96 und anderen Bundesligisten lohnt sich ein Blick in die Gremien der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), also den vom e.V. ausgegliederten Fußballzweig eines Sportvereins. Es handelt sich hierbei um ein betriebswirtschaftlich strukturiertes Profifußballunternehmen. In Hannover formuliert man es seitens des Vereins sehr gerne höflich, indem man es so kommuniziert, dass die Gremien der KGaA den Profifußball „organisieren“.

Ich bin mir nicht sicher, was sie dort genau „organisieren“, aber die Organisation lässt offenbar ein klein wenig zu wünschen übrig. Ein Blick in den Aufsichtsrat der KGaA wirft bei mir zumindest einige Fragen auf, die ich zur offenen Diskussion stellen möchte. Um die betriebswirtschaftlich korrekten Begriffe zu benutzen: In der „Branche“, in der sich „die Marke“ Hannover 96 bewegt, gibt es viele Möglichkeiten, die Leistung oder die Kompetenz zu bewerten. Im Bundesligaalltag können wir das zeitnah und flexibel abrufen, indem wir am Samstagabend die Sportschau gucken oder eben über eine App den Tabellenstand abrufen. Der Leistungsvergleich ist also sehr transparent gestaltet. Nun ist Hannover 96 zum zweiten Mal in relativ kurzer Zeit sehr weit unten in der Tabelle angesiedelt. Deshalb ist meiner Meinung nach der Vorwurf, den Matthias Sammer in den Raum stellte, nicht ganz von der Hand zu weisen.

Sammer: „Kind, Rossmann, Schröder – alles honorige Leute. Es gibt nur ein Problem, Fußball funktioniert anders als ein Wirtschaftsunternehmen und Politik.“

Mit Gerhard Schröder als Aufsichtsratsvorsitzenden hat man im Frühjahr 2017 eine Entscheidung getroffen, mit der man die Außendarstellung gestärkt hat. Natürlich ist ein „Bundeskanzler außer Dienst“ (so lautet der offizielle Titel Schröders, in den Medien manchmal auch etwas lieblos mit „Altkanzler“ abgekürzt) ein Aushängeschild, das eine repräsentative Strahlkraft entwickelt. Daran herrscht kein Zweifel.



Doch um Gerhard Schröder herum befindet sich mit Martin Andermatt nur ein einziger Vertreter im Aufsichtsrat, dem man guten Gewissens echte Fußballfachkompetenz zusprechen kann. Komplettiert wird der achtköpfige Aufsichtsrat vom Döhrener Allgemeinmediziner Martin Biskowitz, dem ehemaligen TUI-Manager Rainer Feuerhake, dem Hamburger Thomas Fischer und dem pensionierten Finanzchef des Drogerieunternehmens Rossmann, Roland Frobel. Als Vereinsvertreter kommen Uwe Krause und Michael Beck dazu.

Natürlich bin ich nur ein Außenstehender und würde mich selbst als Laie bezeichnen – entsprechend möchte ich mein eigenes Urteil nicht zu hoch hängen. Und dennoch wage ich mit meinem laienhaften Blick zu sagen, dass eine einzige Person, die Fußballfachkompetenz im engeren Sinn besitzt, dann doch zu wenig ist.

Sammer: „Ich sehe dort – trotz Horst Heldt, den ich sehr schätze – möglicherweise etwas zu wenig Kompetenz.“

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Herr Sammer ist kein großer Sympathieträger in Deutschlands Fußballlandschaft – nicht nur wegen seiner trockenen Art und seiner Tätigkeit für Bayern München, sondern auch wegen solcher Aussagen. Dennoch haben solche Statements eine erfrischende Klarheit, so dass Sammer einige Pluspunkte bei mir sammelte. Auf dem DFL-Kongress des vergangenen Jahres bemängelte er die nicht vorhandene Breite der Kompetenz in deutschen Vereinen und stellte die Frage, ob in den Gremien in der fachlichen Ausführung ausreichend über Fußball diskutiert wird.



Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch wir alle uns über Kompetenzen unterhalten und mehr über Fußball sprechen. Den Anstoß dazu habe ich ja bereits in einem deutlich früheren Artikel gegeben (Hier lesen: Wir müssen mehr über Fußball reden.). Diese Saison zeigt bei Hannover 96 leider deutlich, dass die Verantwortung nicht ausreichend auf kompetente Top-Leute verteilt ist und am Ende der Trainer als „das System“ hingestellt wird. Der Trainer ist jedoch nur ein kleiner Teil des – funktionierenden oder nicht funktionierenden – Systems. Neben einem guten Trainer benötigt es Entscheidungsträger, die den Druck vom Trainer nehmen. Das können sie nur, wenn sie ein ähnliches fachliches Niveau wie der Trainer besitzen. Besetzt der Verein die Positionen mit Fachleuten, die sich auch für eine Niederlage verantwortlich fühlen und jederzeit kritisch in die sportliche Analyse gehen, ist es langfristig möglich Erfolg zu haben.

Die Gremien brauchen eine gute Mischung aus Fußballfachleuten und Externen

Es lässt sich zurecht einwenden, dass der Aufsichtsrat nicht für die operativen Entscheidungen im Alltag, sondern eher für das Vorgeben von Leitplanken zuständig ist. Im Unterschied zum operativen Management geht es im Aufsichtsrat nicht darum, die Spieltags-Aufstellung zu diskutieren, sondern strategische Weichenstellungen vorzubereiten und weitreichende Entscheidungen zu fällen.

Deshalb ist es per se gar nicht falsch, auch Personen mit Erfahrungen aus anderen Branchen hinzuzuziehen – sei es aus der Politik oder aus dem Großhandel. Wenn es jedoch fast ausschließlich Personen aus fremden Branchen sind, aber nur eine einzige Person mit einer echten Profifußballbiografie, dann stimmt die Mischung nicht mehr. Darauf zielt meine Kritik. Mir ist wichtig, dass das richtig verstanden wird: Ich kritisiere nicht einzelne Personen im Aufsichtsrat – denn diese bringen allesamt wertvolle Erfahrungen aus ihren früheren Tätigkeiten mit ein – sondern kritisiere das zahlenmäßige Verhältnis von branchenfremden Aufsichtsräten und solchen mit tiefgehenden Branchenkenntnissen. Denn zur zweiten Gruppe würde ich nur Martin Andermatt zählen.

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Wie lässt sich das Dilemma also lösen? Andere Vereine wie Borussia Dortmund haben rechtzeitig erkannt, einen externen Berater für die Gremien zu engagieren. Mit Matthias Sammer hat der BVB einen der besten Analysten des Landes im Bereich Profifußball engagiert. Er ist bekannt dafür, sachlich und fachlich den Finger in die Wunde zu legen. Wenn eine sportliche Entwicklung ausbleibt, dann mahnt er es an, noch bevor es alle anderen bemerken. In einer Zeit, in der andere Personen maximal „so ein Gefühl“ haben – also eher eine diffuse Ahnung als eine fundierte Meinung – kann jemand wie Sammer klar benennen, was falsch läuft und wie die Lösung aussehen könnte.



Die Aufgabe, vor der Hannover 96 steht, ist riesengroß. Vielleicht ernennen wir Horst Heldt wirklich zum Geschäftsführer und lassen diesen Mann Kompetenzen neu ordnen und die Strukturen schaffen. Vielleicht bietet sich eine alternative Lösung mit einem anderen ausgewiesenen Fußballfachmann an. Letzten Endes ist der Name gar nicht so wichtig, viel wichtiger ist es, dass endlich die Strukturen geschaffen werden, in der auch die sportlichen Belange auf einem hohem Niveau kontrovers diskutiert werden können.

Ein Abstieg wäre bitter und vermeidbar zugleich. Aber eventuell ist ein Neuanfang – beziehungsweise eine Weiterentwicklung im Vergleich zur heutigen Struktur – auch auf der fachlichen Ebene dringend nötig und in der zweiten Liga möglich. Vielleicht sollte es mehr eine Rolle spielen, was für Fußball gespielt wird. Plakativ gesagt: In den Diskussionen sollte es mehr eine Rolle spielen, was die Mannschaft mit dem Ball macht und was das im Umkehrschluss mit uns macht. Erstrebenswert wäre es, dass wir die Strategie im Verein aktiv danach ausrichten, wie wir uns das Fußballspiel wünschen. Zurzeit liegt leider das Gegenteil vor: Wir reagieren teils passiv, teils panisch auf sportliche Fehlentwicklungen, anstatt aktiv eine Strategie mit einem klar definierten Ziel auszuarbeiten und diese langfristig zu verfolgen (ggf. mit kleinen Kursanpassungen, aber ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren). Ich bin dafür, dass wir diesen Weg gehen und die Weiterentwicklung auf der fachlichen Ebene wagen. Ihr auch?



Die Lieblingsfolgen vom 96Freunde-Podcast mit Altin Lala, Florian Fromlowitz und Ewald Lienen. Viel Spaß beim Reinhören!

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3 Kommentare

  1. Ja, das ist wieder viel Wahres in diesem Kommentar. Es ist nie gut, dass quasi eine Person alles bestimmt. Er sagt ja immer wieder gerne, dass er es liebt, Verantwortung zu tragen. Besser wäre es aber, wenn mehr Personen mit Fussballsachverstand in die Entscheidungen mit einbezogen werden. Ich sehe es genau so, dass man überlegen soll, wie man (taktisch) spielen möchte und sich dann Spieler sucht, die für dieses System gut geeignet sind. Im Augenblick wird nur noch geflickt mit Spielern, die im Einzelnen durchaus Qualität besitzen, aber in Summe noch kein Team bzw. keine Einheit auf dem Platz darstellen. Und es braucht einfach diese "Leader-Typen", die so ein Team auf den Platz führen können. In der Nationalmannschaft wurde so ein Typ im Sommer auch sehr vermisst. Aus meiner Sicht sollte alles auf Neuanfang gesetzt werden und dazu gehört es für mich auch, dass das "unantastbare" Hannover-Modell komplett neu aufgestellt werden muss.

  2. Ja, diesem Bericht kann ich nur zustimmen! Nur eine Frage: wie soll denn jetzt noch der erneute Abstieg verhindert werden? Heute am frühen Morgen bekomme ich zu lesen, daß der letzte schnelle Stürmer auch noch verletzt ist und bis Saisonende wohl ausfällt, wer soll denn jetzt noch Tore schiessen?

    Bei 96 wird es allerhöchste Zeit, daß sich mehrere Dinge ändern, oder will man immer so weiter wursteln? Wieder in die 2. Liga ist für mich nicht die Lösung, aber wohl nicht mehr zu ändern und ein sofortiger Aufstieg ist mit Sicherheit nicht selbstverständlich!

    Ich drücke 96 natürlich alle Daumen, daß der erneute Abstieg noch verhindert wird, aber glauben kann ich es nicht. Hoffentlich wird beim Aufsichtsrat dieser Artikel von Herrn Tim Block auch gelesen und auch mal darüber nachgedacht, daß sich vielleicht einzelne Personen mal Gedanken machen, evtl. zurückzutreten und erfahrenen Personen mit Fußballkompetenz ihren Platz anbieten. Aber einer wird nicht reichen.

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