von Steven Gläser
Ok, starten wir mit einer Frage: Welches System lässt Liverpool spielen? Welche Spielidee verkörpert Barcelona momentan? Mit welcher Taktik ist Magdeburg gerade erfolgreich? AS Rom? West Ham? Atletico Madrid? Weiß keiner genau? Hab ich mir doch fast gedacht…
Dem Trainerteam von 96 wird seit geraumer Zeit und mit dem Abrutschen in das untere Tabellendrittel von Kritikern und einigen Medien ein mangelndes taktisches System unterstellt – weil der Laie „keine spielerische Entwicklung“ sieht… Das ist heuchlerisch. In Hannover werden traditionell schnell die Nerven dünn, wenn der „Fan“ kein Spektakel für sein Geld geboten bekommt.
Legt man nämlich den Tenor der aktuell kritischen Foren-Beiträge bei Hannover 96 übereinander, wird sehr oft eine fehlende Spielidee bemängelt.
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Das wird dann auch direkt mal dem Trainer in die Schuhe geschoben: Jan Zimmermann, 42, im Sommer von Drittligist Havelse an den Maschsee gewechselt. Doch mit dieser Schuldzuweisung macht man es sich zur Zeit etwas zu einfach, wie ich finde…
Zimmermann war von 2018 bis 2021 als Cheftrainer in Havelse aktiv und bastelte in der Zeit ein offensives, attraktives Spielsystem, passend zu Mannschaft und Umfeld. Denn nur, wenn auch die Spieler individuell zur Idee passen, und Staff und Management derweil ruhig und konzentriert mitarbeiten, kann sowas klappen.
Seit dem Sommer versucht Zimmermann seinen Blueprint nun auch bei 96 zu setzen. Leider ist man aber 96-like wie immer sehr ungeduldig. Und vergisst und übersieht, dass wichtige Spieler wie Julian Börner, Gael Ondua, Maxi Beier, Lukas Hinterseer und Tom Trybull erst zwischen dem dritten und neuntem Spieltag zur Mannschaft stießen beziehungsweise ihr Debüt gaben. Wie sollen da von heute auf morgen reibungslose Abläufe, eine erste Elf oder eine Philosophie erkennbar werden?
Ich erinnere mich in dem Zusammenhang gerne an eine Pressekonferenz beim 1.FC Nürnberg aus der letzten Saison. Ähnliche Lage: Nürnberg mit dem Rücken zur Abstiegs-Wand. Ein ganz kecker Journalist meinte, Trainer Robert Klaus mit provokanten, halbseidenen Fragen aufs Glatteis führen zu können. Mit dem Ergebnis, dass der gut ausgebildete Fußball-Lehrer ihn nach allen Regeln der Kunst vor laufenden Kameras abwatschte und ihm einen Crash-Kurs zum Thema Spielsystem gab.
Profifußball ist taktisch enorm komplex und blitzschnell geworden. Einmal nicht aufgepasst und der Gegner trickst dich mit einer für den Zuschauer fast unsichtbaren Umstellung aus. In Hannover dürften noch die „Schlachten“ von André Breitenreiter bei der Rückkehr in die erste Liga im Gedächtnis sein.
Zurück nach Nürnberg: Chefcoach Robert Klaus blieb damals reflektiert genug, um eigene Fehler in der Mannschaft genau zu erkennen und zu benennen. Dieter Hecking ließ ihn weiter in Ruhe arbeiten. Kurz später fing und stabilisierte sich Nürnberg und spielt seitdem saisonübergreifend einen klasse Fußball!
Demut und Selbstkritik sind essentiell bei noch jungen Trainern und helfen, sie weiter stetig besser zu machen. Jan Zimmermann zeigte diese Selbsteinsicht deutlich in Regensburg, als er beim Stand von 0:2 schon in der 35. Minute sein System revidierte. Das ist Lernen durch Erkennen und Handeln! Und diese Lernbereitschaft sollten wir, die Presse und das Management, mit Geduld und Respekt quittieren. Dann haben wir in absehbarer Zeit vielleicht auch unseren Havelse-/Aufstiegs-Moment…
Die Lieblingsfolgen vom 96Freunde-Podcast mit Altin Lala, Florian Fromlowitz und Ewald Lienen. Viel Spaß beim Reinhören!
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