Vereinsmitbestimmung im Profifußball wird überbewertet – Das Faninterview vor dem Heimspiel gegen Leipzig

Leipzig-Fans unterstützen ihr Team. Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images.

Hannover – Am Samstag trifft Hannover 96 im Heimspiel auf RB Leipzig. Es ist das erste Aufeinandertreffen der beiden ersten Mannschaften in Hannover. Gegen die zweite Mannschaft von 96, blieb RB in vier Spielen ungeschlagen und kassierte nur ein Gegentor. Vor dem Spiel sprechen wir mit Leipzig-Fan Matthias

Ein 96-Tor hat im Hinspiel nicht gereicht. Foto: Getty Images

Hallo Matthias, stell Dich doch unseren Lesern bitte kurz vor.

Hallo. Ich bin Matthias, inzwischen 44 Jahre alt. Seit 2010 blogge ich unter rotebrauseblogger.de über RB Leipzig. Eigentlich bin ich studierter Kommunikationswissenschaftler, ganz früher wurde ich mal zum Industriemechaniker ausgebildet und inzwischen verdiene ich meine Brötchen mit dem Blog und anderen Tätigkeiten als freier Journalist, zum Beispiel unter rblive.de.

Wie bist Du zum RB-Fan geworden?

Ich würde sagen, dass ich reingewachsen bin. Als 2009 die Nachricht kam, dass Red Bull in Leipzig investieren würde, fand ich das prinzipiell gut, weil damit klar war, dass jemand nachhaltig Geld bringen und Strukturen aufbauen würde. Bis dahin war im Leipziger Fußball mal Geld vorhanden, mal Kompetenz, selten beides gleichzeitig, nie beides nachhaltig gleichzeitig. Persönlich hatte ich angesichts eines Profifußballs, der eh die Konkurrenz von Wirtschaftsunternehmen ist, kein größeres Problem mit der Art der Vereinsentstehung und dem Red-Bull-Hintergrund. Und ich hatte nach langer Zeit wieder mal viel Bock auf Live-Fußball, nachdem ich seit Mitte der 1990er ohne konkrete Vereinsbasis war. Entsprechend war ich interessiert an dem Thema, habe im ersten Jahr die Spiele gesehen, die in Leipzig ausgetragen wurden – der größere Teil der Heimspiele fand in Markranstädt statt. Ab der zweiten Saison war ich dann in der Regionalliga zu Hause praktisch immer dabei. Seit 2012 fahre ich auch auswärts mit und habe seitdem nur eine Handvoll Pflichtspiele verpasst. Interessiert gewesen am Verein, Bock gehabt auf Livefußball, bei den Besuchen festgestellt, dass es mir dort gefällt und hängengeblieben. So kann man wohl am ehesten beschreiben, wie ich zum Fan wurde.

Viele Fans der anderen Teams haben große Probleme mit den Vorgängen in Leipzig. Was entgegnest Du ihnen?

„Entspannt euch mal!“ Im Ernst, ich verstehe, dass manche ein Problem mit der Vereinskonstruktion haben. Ich für meinen Teil habe die Problemen nicht grundsätzlich, weil ich Dinge wie Vereinsmitbestimmung über Mitgliedschaften im Profifußball eh für überbewertet halte und glaube, dass Einflussnahme auf Vereine vor allem auf informellem Wege stattfindet. Letztlich arbeitet sich an RB viel ab, was man nicht alles auf RB wälzen kann, weil sich da auch viele allgemeine Dinge der Entwicklung des Fußballs mit verweben. Für mich persönlich ginge es statt einem Abarbeiten an RB eher darum, eine Liga zu bauen, in der die Form der Vereinskonstruktion für den Wettbewerb selbst egal ist und keine wirtschaftlichen Vorteile oder Nachteile mit sich bringt, sodass jeder seine eigene Idee leben kann.

Bei Auswärtsspielen sehen sich RB-Fans Anfeindungen ausgesetzt. Foto: GUENTER SCHIFFMANN/AFP/Getty Images.

Was zeichnet RB aus Deiner Sicht am meisten aus?

Strukturell, dass man mit der Entwicklung von jungen Spielern einen klaren Plan hat und den recht konsequent umsetzt und dass Ralf Rangnick jede Position im Verein nach seiner Idee hin ausrichtet. Sportlich, dass der Verein die Philosophie eines aktiven, auf Balleroberung setzenden Fußball vorgibt und entsprechend Kader und Trainerposition besetzt. Wobei man natürlich inzwischen auch gezwungen ist, über Ballbesitz zu agieren und daran auch arbeitet.

Nur Unentschieden gegen den HSV, gegen Köln verloren, aber auch die Bayern geschlagen. Wie bewertest du die bisherige Rückrunde?

Im Blog schrieb letztens in einem Kommentar jemand, dass das Glas halbvoll, nicht halbleer ist. Man hat nicht nur gegen Köln und den HSV, sondern auch gegen Freiburg oder vor der Winterpause gegen Mainz Punkte liegenlassen. Gegen vier Teams aus der unteren Tabellenhälfte jeweils geführt und trotzdem nur zwei Punkte geholt zu haben, ist natürlich unbefriedigend. Da traten Probleme im Ballbesitz zu Tage, wegen derer man es nicht geschafft hat, Spiele nach Führung zu kontrollieren und nach Hause zu bringen. Insgesamt ist die Rückrunde bisher von der Punkteausbeute eher durchschnittlich. Allerdings ist da halt auch noch die Europa League und versucht man gerade die Entwicklung zu einem flexibleren Team hinzubekommen – verschiedene Formationen; dazu Ballbesitz gegen tiefes Verteidigen gegen hohes Pressing – sodass die Entwicklung in die richtige Richtung geht und man es einfach verpasst hat, sich in den angesprochenen Spielen gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte auch mit den entsprechenden Punkten zu belohnen.

Wie sehr belastet da das Theater um Emil Forsberg eventuell die Leistung des Teams?

Ich glaube nicht, dass das eine große Rolle spielt. Eher hat sein verletzungsbedingt längerer Ausfall die Leistung des Teams negativ beeinflusst. Unabhängig von Forsberg spielen diese Saison Vertrags- und Gehaltsthemen in der Mannschaft offenbar eine größere Rolle, sodass dadurch auch Unruhe entsteht. Sind halt viele Spieler dabei, die mit ihren Verträgen noch aus der zweiten Liga kommen und entsprechend vermutlich auch nicht ganz so glücklich sind, wenn Spieler wie Augustin oder Upamecano nach ihrer Verpflichtung gleich zu den Topverdienern gehören. Ansonsten gilt, dass Gerüchte und Co halt zum Alltag eines Bundesligisten dazugehören.

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Versucht er seinen Wechsel zu provozieren? Leipzig-Star Emil Forsberg. Foto. ROBERT MICHAEL/AFP/Getty Images.

Das Erreichen der Europa League wäre eine Enttäuschung, oder?

Nachdem man einmal an der Champions Leauge geschnuppert hat, wollen natürlich alle wieder dort hin. Auch wenn das niemand als Pflicht formuliert. Für die wirtschaftliche Weiterentwicklung und in Bezug auf Argumente für die aktuellen Spieler, noch länger zu bleiben, wäre die Königsklasse auch wichtig. Wenn man es aus Sicht von vor der Saison sieht, dann ist die Europa League aber absolut im Rahmen der Saisonziele. Von daher gäbe es sicherlich leise Enttäuschung, auch weil es diese Saison hinter den Bayern bisher eher ein Schneckenrennen denn ein Hochgeschwindigkeitsveranstaltung war, aber auch kein riesiges Problem. Man muss auch mal grundsätzlich davon wegkommen, die Europa League nur als Verlierercup wahrzunehmen. Es ist in jedem Fall ab der K.o.-Phase ein sehr attraktiver Wettbewerb, in dem man auch Geld verdienen und Spaß haben kann. Entsprechend bin ich auch froh, dass RB in den bisherigen zwei K.o.-Runden in dieser Saison jeweils mit der absoluten Topmannschaft angetreten ist. Generell würde ich (je nach weiterem Saisonverlauf) das Erreichen der Europa League nicht als Enttäuschung, sondern grundsätzlich in Bundesligajahr 2 absolut als Erfolg empfinden. Allerdings gilt auch hier, dass man im Saisonverlauf gegen schwächere Teams der Liga unnötig hat Punkte liegenlassen, mit denen man derzeit nicht auf Platz 6, sondern zumindest auf Platz 3 liegen würde.

Im Januar hat sich der Ex-96er Marcel Halstenberg einen Kreuzbandriss zugezogen. Wie geht es ihm und wie verläuft seine Heilung?

Seinen eigenen Aussagen nach geht es ihm gut. Er ist zeitlich ein Stück vor dem eigentlichen Genesungsplan und hofft, in der Sommervorbereitung schon mit auf dem Platz trainieren zu können. Wann er dann wirklich im Mannschaftstraining steht und mitwirken kann, kann man bei einem Kreuzbandriss nie sagen. Lukas Klostermann hat fast ein Jahr gebraucht, bei Terrence Boyd waren es glaube ich zwei Jahre. Andere schaffen es in sechs Monaten. Er arbeitet an seinem Comeback, musste die bittere Pille schlucken, aufgrund der Verletzung nicht mit zur WM fahren zu können und fehlt bei RB Leipzig durchaus, weil die Außenverteidigerpositionen nicht unbedingt tief besetzt sind. Zumindest nicht mit Spezialisten auf dieser Position.

In Leipzig entwickelte sich der in Laatzen geborene Marcel Halstenberg sogar zum Nationalspieler. Foto: ROBERT MICHAEL/AFP/Getty Images.

In der letzten Woche hat sich die Mehrheit der Profiklubs für die Beibehaltung der 50+1-Regel ausgesprochen. Leipzig war dagegen. Was hältst Du von dem DFL-Beschluss?

Zuerst einmal finde ich es Wahnsinn, dass man im Jahre 2018 drauf kommt, dass man diese Regel ja eigentlich mal rechtssicher gestalten müsste. Ewige Jahre nach Hoffenheim, Leipzig, Augsburg, dem Vergleich mit Kind vor ein paar Jahren und was auch immer. Von daher würde ich alles begrüßen, was diese Regel rechtssicher und zukunftsfähig macht. Wie das dann aussieht, ist mir persönlich eigentlich egal. Ich sehe nicht, dass man eine harte 50+1-Regel wird halten können, von daher wird es darauf ankommen, das Regelwerk mit den Wünschen der Mehrheit der Vereine zu gestalten. Am Ende ist das aber auch nicht der wichtigste Punkt. Den Erhalt von 50+1 verhindert nicht RB Leipzig, nicht Kühne und nicht Isamik und nicht dass Vereine durch Finanzkraft nach oben kommen. Die Abschaffung von 50+1 würde nicht automatisch die Wünsche der Befürworter nach mehr Wettbewerb in der Bundesliga befriedigen, weil das Geld am Ende immer zu den großen Klubs weiterwandert. Von daher ginge es eigentlich eher um die Frage, wie man den Wettbewerb in Deutschland vernünftiger und unabhängig von Vereinskonstruktionen organisieren kann und da ist 50+1 nur eine begleitende, nicht die zentrale Frage.

In Hannover befinden sich Fans und Klub im Clinch. Kann die schlechte Stimmung ein Vorteil für Leipzig sein?

Erfahrungsgemäß spielt sowas für Spiele gegen Leipzig keine Rolle. In diesen Spielen sind die meisten Mannschaften und auch das Publikum besonders motiviert. Wenn es in der 96-Kernfanszene weiter einen Stimmungsboykott gibt, erwarte ich trotzdem, dass der Funke vom Spielfeld auf das Publikum überspringen kann. Dafür braucht es nur zwei, drei harte Zweikämpfe zu Beginn. Von daher glaube ich nicht, dass das in den 90 Minuten zwischen Hannover und Leipzig eine große Rolle spielt.

Über Hannover 96 ist ein neues Buch erschienen

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Wie beurteilst Du die sportliche Situation der Breitenreiter-Elf?

Bevor ich mich vor dem Hinspiel mit dem Team beschäftigte, fand ich den Kader eher langweilig und wenig konkurrenzfähig. Doch als ich dann näher hinschaute, fand ich dann doch einiges an Potenzial, Robustheit und interessanten Akteuren vor. Zudem finde ich es interessant, dass 96 doch immer wieder versucht, Fußball zu spielen und dabei auch unter Druck ganz gute Lösungen findet. Vom Spiel in den gegnerischen Strafraum bin ich, im Gegensatz zur Hinserie, derzeit nicht so richtig überzeugt, da fällt es dann umso mehr auf, wenn hinten auch mal einer durchrutscht. Insgesamt befindet man sich wohl in einer Position, wie man sie vor der Saison erwarten konnte, wobei das fußballerisch manchmal wesentlich besser aussieht als man Hannover rein vom Image her zuschreiben würde.

Wird es für 96 noch mal eng im Kampf um den Klassenerhalt?

Eigentlich nicht, dafür würde ich insbesondere Mainz für zu schwach halten. Der restliche Spielplan sieht für 96 aber auch nicht allzu leicht aus. Mit Bayern, Leipzig, Leverkusen und Hoffenheim noch vier Klubs, die im Kampf um internationale Wettbewerbe stehen. Dazu mit Bremen und Stuttgart zwei Teams, die einen Lauf haben. Da wird es nicht einfach, noch mal ganz viele Punkte einzusammeln. Aber für die vier, fünf Punkte, die man noch für den Klassenerhalt braucht, wird es wohl reichen.

Was für ein Spiel erwartest Du am Samstag?

Ein bisschen eins wie im Hinspiel. RB muss das Spiel machen. Hannover sucht nach Möglichkeiten, aus dem Umschalten heraus zum Erfolg zu kommen.

Zum Schluss, Dein Tipp, bitte: Wie geht die Partie aus?

Tippen würde ich wahrscheinlich auf ein Unentschieden. Wünschen würde ich mir einen 2:1-Auswärtssieg.

Die Lieblingsfolgen vom 96Freunde-Podcast mit Altin Lala, Florian Fromlowitz und Ewald Lienen. Viel Spaß beim Reinhören!

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1 Kommentar

  1. Ewige Jahre nach Hoffenheim, Leipzig, Augsburg, dem Vergleich mit Kind vor ein paar Jahren und was auch immer.

    War hier vielleicht Wolfsburg gemeint?

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