Wir schreiben den 02. März 2023, seit gestern hat offiziell der Frühling eingesetzt. Erste wärmende Sonnenstrahlen fallen vom Himmel – doch bei Hannover 96 scheint eher der eiskalte Winter zurückzukehren. Ein Blick auf die bisherige Rückrunde hinterlässt nichts anderes als Frustration, doch abseits der sportlichen Talfahrt haben die Roten ein ganz anderes Problem: Die Niedersachsen suchen vergeblich nach einer Identifikationsfigur!
Das Problem scheint nicht ein rein sportliches zu sein – es ist vor allem eine Frage der Moral. Wer sich die Spiele in diesem Jahr anschaut, sieht nicht nur vier Niederlangen aus fünf Ligaspielen, sondern vermisst das nötige Feuer auf dem Platz. Ein Leader im Team von Stefan Leitl wird vergeblich gesucht. Auch in der Hinrunde gab es nicht Die eine, spielanweisende Person: 96 brachte sich über die geschlossene Mannschaftsleistung ins Spiel, die Elf Spieler motivierten sich gegenseitig und es war eine bedingungslose Unterstützung auf dem Spielfeld zu erkennen. Dieses Konstrukt ist in den wenigen Wochen im Jahr 2023 wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Jetzt bräuchte es Die eine Führungsposition, die mit der Erfahrung glänzen, die Teamkollegen pushen und mit seiner Brust-raus-Mentalität die 96-Aura auf dem Platz versprühen kann. Doch diese eine Person gibt es aktuell nicht.
Immer wieder fallen in den sozialen Foren die sehnsuchtsvollen Namen wie Pinto, Schmiedebach, Stindl – Spieler, die mit dem Verein Hannover 96 durch Dick und Dünn gegangen sind, eine Bindung zu den Fans aufgebaut haben und den Verein und seine Werte wie kein anderer nach außen repräsentiert haben. Aus diesen glorreichen Zeiten ist noch ein Spieler übrig geblieben: Ron-Robert Zieler. Unsere Nummer eins ist zweifelsohne auch diejenige Person, die die Bedürfnisse am ehesten erfüllt. Der Weltmeister von 2014 liebt und lebt den Verein, will seine Karriere in der alten Messestadt beenden, hat grandiose Zeiten auf internationaler Bühne erlebt und auch einige Rückschläge in Kauf nehmen müssen. Auch der zwischenzeitliche Clinch mit der Vereinsführung ist überstanden, doch er alleine scheint die 96-Botschaft nicht übertragen zu können. Der 34-Jährige lässt sichtlich sein Herz auf dem Platz, doch es reicht nicht, wenn der moralische Rückhalt einzig zwischen den Pfosten steht. Führungsspieler müssen sich durch das gesamte System ziehen – und das ist aktuell nicht der Fall.
In der Abwehrreihe steht vor allem Julian Börner in der Pflicht. Der 32-Jährige strotzt nur so vor Erfahrung, sowohl mit Bielefeld als auch mit Sheffield hat er immer in unangenehmen Liga-Sphären gekickt und war der Antreiber im Rückraum. Dass er die Leader-Rolle ausfüllen kann, hat der Innenverteidiger bei seinen langjährigen Kapitänsämtern gezeigt. Auch bei Hannover lässt er sein positiv impulsives Bild immer wieder aufblitzen, doch seine schwankenden sportlichen Leistungen scheinen sich auf sein Herzblut auszuwirken. Zuletzt agierte Börner zunehmend demotivierter und konnte seine jungen Teamkollegen nicht anweisen. Diese moralische Aufgabe ist im Konzept Leitl unverzichtbar.
Im Mittelfeld fehlt eine solche Personalie gänzlich! Sebastian Ernst wäre der geeignete Kandidat: Eine seine Karriere bestimmende Verbindung zu 96, das nötige Standing in der Kurve und nicht nur aufgrund seiner Kämpfermentalität einen hohen Stellenwert innerhalb des Teams. Der 27-Jährige befindet sich jedoch nach wie vor auf dem Weg zurück in die Startelf, entsprechend sollte man die Erwartungen an seine Personalie hier nicht zu hoch schrauben. Eine zusätzliche moralische Stütze ist unverzichtbar.
Auch im Sturm sieht es nicht besser aus: Während Maximilian Beier oder Nicolo Tresoldi für eine solche mentale Aufgabe noch nicht in Frage kommen, hat sich wohl auch Stefan Leitl deutlich mehr von Havard Nielsen erhofft. Der Neuzugang aus Fürth galt bei den Bayern als absolutes Stehaufmännchen, doch mit dem Wechsel scheint diese Fähigkeit abhanden gekommen zu sein. Deutlich zu schnell steckt der Stürmer den Kopf in den Sand, seine sportlichen Rückschläge wirken sich zu sehr auf seine 96-Affinität aus. Sportlich besser läuft es zwar bei Cedric Teuchert, doch seine Agilität könnte deutlich zunehmen.
Vor allem, weil Hannover 96 zunehmend auf die Jugend setzt und viele junge Spieler in der ersten Mannschaft etablieren will, braucht es Identifikationsfiguren, die Bock auf den Verein, das Umfeld und das Trikot haben. In der aktuellen Truppe vermisse ich diese Figuren zurzeit – sofern es keine geschlossene Mannschaftsmotivation gibt, sind sie aber unverzichtbar. Zur neuen Saison hin ist es zwingend notwendig, mental starke Spieler an die Leine zu lotsen und ihnen eine mentale Führungsrolle in Aussicht zu stellen.
Ja, alles aktuell so zu bestätigen. Aber warum wurden in der Pause im Trainingslager nicht verstärkt die Möglichkeiten mit einem flinken, technisch kreativen Spieler, wie Tom Moustier ausgebaut. Auch Gindorf aus der U 23 könnte im Zentrum neue Impulse und auch Torgefahr geben. Mit dem Riesentalent Lührs, der in seiner Spielweise schon heute an Per Mertesacker erinnert, sollte jetzt schon gespielt werden, Ruhe und Souveränität braucht viel allem die Abwehr, die leider immer wieder mit Zirkuseinlagen agiert.